Das Hohelied auf eine reife Priesterin und ihre Symbolik
"Endlich steht einmal eine Frau im Mittelpunkt der Geschichte", dachte ich seit meiner Jugend über diese Oper. Pfitzner war ein sehr männlicher Komponist, aber er war damals bekannt dafür, dass er Frauen in der Kunst förderte und sie für "gleichberechtigt" hielt. So animierte er nicht nur Alma Mahler und Lilo Martin als Komponistinnen, sondern war auch sonst gerne von Künstlerinnen und Frauen umgeben (Schriftstellerinnen, Malerinnen, Dichterinnen, Organisatorinnen, darunter waren auch etliche Jüdinnen), die er sogar finanziell förderte (Leider, wenn ich ins Internet blicke, findet man von diesen Geschichten um ihn öffentlich nicht viel)
Jetzt hat man mit Frank Beermann endlich die Rose in einer fast ganz ideal adäquaten Aufnahme herausgebracht. Und Gott sei Dank hat man das Werk in die Nähe Beethoven Mahlers gerückt, ohne gewisse Grund-Prinzipien Wagners zu verletzen. Dabei werden - Gott sei Dank - Elemente des kindischen vermieden und das Ganze auf die durchaus Mahlerische Ebene einer Erwachsenen-Oper gestellt, bei der die Kinder eine untergeordnete, aber doch wichtige Rolle spielen (erfreulich, dass man den Eingangs-Blumenchor durch Teenager-Mädchen und nicht Kinder singen lässt). Das erinnert absolut an Mahler (Sinfonie Nr 4, Sinfonie Nr 3, und das "Lied von der Erde", Sinfonie Nr 6 1.ter Satz Exposition, Kindertotenlieder) und sollte extrem erfolgreich sein.
Aber: Nicht jeder kennt sich mit Pfitzner gut aus, gerade auch zur Rose gibt es fatale Fehldeutungen, wer nicht genügend Zeit hat, liest nicht genau genug nach, und ich meine, man sollte als besserer Kenner mit Gunst der Firma JPC hier mam Ort mal ein paar längere Darstellungen geben, wenngleich das eine übliche Rezension etwas sprengt (damit sich das Werk auch für CPO lohnt).
Hier mein persönlicher Schlüssel zum Verständnis der Symbolik:
Der Schwerpunkt: ein Erwachsenen-Drama
Erfreulicherweise hat man bei der vorliegenden Aufnahme den Schwerpunkt so gesetzt, daß das ganze Werk im Sinne des erwachsenen Menschen steht, die sich hauptsächlich um die Rettung verlorener hilfesuchender Wanderer und interessierte Menschen draußen in der Welt kümmern und auch einer Kinderwelt und einem "königliches Sonnen-Kind" vorstehen, wobei letzters dem alten greisen "Winterwächter" des Liebesgartens das Hauptanliegen ist, bis dieser allerdings am Ende verloren geht, weil er der Erlösung des (erwachsenen) und leidgeprüften Paares Siegnot und Minneleide widerspricht. (Symbol für einen Kindernarr?) (Ich glaube es ist jener Wächter, der auf dem Gemälde Hans Thomas auf dem CPO-Cover der Rose jetzt zu sehen ist, welches damals Pfitzner und Grun zur "Rose" inspirierte)
Eine Priesterin als Hauptsonne
Eine reife Priesterin - man nennt sie "Sonnenbraut", "Sternenjungfrau", "Königin", "Strahlenreiche", "Herrscherin", "Frühlingsmutter", "Sternengekrönte", "Frau Minne" - herrscht diesem kulturellen geistig platonischen aber hochentwickelten Naturreligionsstaat vor, der absolut "messianisch" anmutet, und es gibt viele reife lebenskampferprobte Anhänger, die Sterne dienen der Sonnen"-Königin, und die Aufgabe aller ist es, ihr kleines "königliches "Sonnen"-Kind zu versorgen, damit durch dieses die Welt, die sie als "Frühlingskönigin" zum Blühen bringt, mit fortexistiert. Wer ihr dient, muß allerdings ihr "Kind" beschützen, seine Sympathie besitzen.
Sie ist in der Tat die entscheidende Gestalt, die alles wesentliche erzeugt, das Kind dagegen ist Empfänger ihrer "geistigen Energie" und erwiedert dies mit kindlichen reinen Gemüt.
(Minne bedeutet hier in dieser Oper mt dem alten Begriff nicht in erster Linie für erotische Liebe, sondern ich zitiere Wikipedia: "die positive mentale und emotionale Zuwendung, ...die Beziehung der Menschen zu Gott ... und untereinander in sozialer, karitativer, freundschaftlicher und erotischer Hinsicht", und wurde später zu einer platonischen Liebe von Rittern zu Edelfrauen)
Gruns falscher Begriff für das Kind
Etwas schwierig ist dass James Grun (Anhänger der Heilsarmee) in der Personenbeschreibung des Librettos folgendes auflistet:
"Sternenjungfrau mit dem Sonnenkinde, Gottheiten vom Liebesgarten".
Das ist leicht irreführend, denn obwohl eindeutig die die Sternenjungfrau als Sonnenkönigin die erzeugende Herrscherin ist, vermuteten völlig schlecht infomierte , nicht die Mutter, sondern das Kind sei als "Sonnenkind" die Sonne, um die sich alles dreht (Eine völlig überdrehte Befürchtung eines seltsames Kinderkultes, ohne jegliche Textkenntnisse zusammengesponnen).
Das aber ist nicht der Fall. Die Sternejumgfrau ist wie oben gesagt die dominierende "Sonnenbraut", die das Licht erschafft, dazu gibt es Textstellen. Und Grun verwendet diesen Namen wahllos für mehrere, betont aber leider nicht gleich zu Anfang, dass seine Mutter die Sonne ist, obwohl der Text es aber dann doch klarstellt.
Das halte auch ich für einen Fehler. Man muß die Prioritäten von vornherein kenntlich machen. Aber diesen Mangel hat Hans Pfitzner dann mit seiner Musik richtiggestellt und den Fehler wettgemacht:
Die Mutter ist die Hauptperson, das Kind nur Nutznießer
Die Oper beginnt zu Anfang und dann am Ende, wenn die Gnade alles erlöst, mit dem"Sonnenaufgangsthema" der keuschen jungfräulichen Sonnenbraut, in einer Größe, die eher kosmisch-reif-erwachsen klingt, und niemals kindisch. Es steht also fest: die Sonnenmutter ist die Sonne, die alles beginnen und in rettender Erlösung enden lässt.
Dazu kommt, daß die Sonnenbraut nicht mit ihrem Kind herrscht, sondern sie tut es, wie Siegnot im 1.ten Akt singt, zusammen mit Persönlichkeiten ihresgleichen:
(cpo S. 58):
"dort thronet die Frühlingsmutter, die alle Gnaden gewährt, Ihre Kämpen stürmen die Welten und kündigen ihr sonn`ges Reich und ringen mit Tod und Winter, bis die Erde dem Himmel gleich".
Interessant ist dann, dass auch Siegnot, ein reifer Mann, sich selbst als "Sonnenkind" bezeichnet, nach dem Moment, wo er Minneleide vom Liebesgarten erzählt hat
(cpo S. 54):
" So konntest du kennen auch nimmer das Land, ...bis ein Sonnenkind die Kunde gebracht".
Grun ist also mit dem Begriff "Sonnenkind" recht sorglos umgegangen, zumal man die Hervorhebung dieses Namens für das Kind nicht versteht ("ist es d i e Sonne?"), wo doch seine Mutter die führende "Sonne" ist und nicht das Kind, sowie auch andere so genannt werden. Dieses und auch manche mittelalterlich verstockte Passagen haben auch Pfitzner damals einigermaßen gestört, worauf er den gelungenen Text zu Palestrina glücklicherweise selber verfasste.
Das Sonnenkind, das wäre also ein Kind, das die Sonne bedeutet. Als einziger. Ist es also nicht. Andere dürfen sich auch so nennen. Es ist also "nur" das "Kind der Sonne", seiner Mutter, und darf die Sonne in sich tragen. Dies zeigt sich im "Blütenwunder" das gegen Ende des ersten Teils erscheint:
Die Sonnenfrau lässt das Licht erleuchten und einen Blütenregen entstehen und dann
(cpo S. 38)
"Nun erhebt sich die Jungfrau vom Thron; mit ausgestreckten Armen segnet sie die Welt. Der Blumen und Blütenregen wird sehr voll ...(Sie) wendet sich zum Kinde. Dieses erhebt sich freudig ... und wendet sich rechts gegen das hereinbrechende Sonnenlicht. Sofort geht das Seuseln und Rauschen in brausenden Sturm über".
Die Mutter gibt, das Kind nimmt und macht damit etwas.
Das Kind ist also Nutznießer der oberen lichten Herrscher, ein Kind der Sonne.
Die Textstellen der überragenden Rolle der Priesterin
Folgende Textstellen bestätigen noch einmal die Rolle der Mutter:
(cpo S. 32-33)
"Und minnen wir am gold`nen Thron der Gnade
bei ihr, die keusch das Licht der Welt gebar,
dass weit das Tor des Minnereiches aufspringe,
mit Jugendkraft der Lenz das All durchdringe
und frisch erblüh`, was tot und traurig war!"
(cpo S. 34):
"Siegend über Näh`und Ferne
dringt der lieben Sonne Strahl,
doch der Königin sich neigen
gold`ne Sternlein ohne Zahl"
(cpo S. 36):
"Froh schau`n wir Dich Du Sonnenbraut
... Du Strahlenreiche, uns Herrscherin,
...Lenzesblüten lächeln empor.
Ihnen gönne den Strahlensegen,
der sprengt des Riches Tor.
... Nach deinem Lichte ja ringt das All mit
Schmerzensgewalt."
(cpo S. 37):
"O Königin, nun auch warten
die Kämpen dein vom Garten,
und mit viel edle Minnefrau`n,
dein siegend Wunder neu zu schau`n.
Drum lass, nach ewigen gesetzen,
was selber du bestimmst, gescheh`n!"
(cpo S. 40):
"Du schenktest den Segen"
(cpo S. 56):
"Frau Minne gab Wonne der weiten Welt"
(cpo S. 58):
"Dort innen (im Liebesgarten) sind himmlische Wonnen,
wie alle Welt sie begehrt,
dort thronet die Frühlingsmutter,
die alle Gnaden gewährt"
Am Ende der Oper finden wir ihren Segen nun vorrangig in größerer Form für die Welt der reifen Erwachsenen, wenn sie die gefallenen und geläuterten Minneleide und Siegnot vor dem ungerechten Gericht bewahrt. Hier erklingt die ansonsten stumme Sternenjungfrau als großer Chor "Stimmen der Gnade" (also jetzt hier zeigt sie ihre wirkliche Größe):
(cpo S. 86-87)
"Komm zu mir! In meiner Liebe
ruh`in Frieden, ruhe aus!
... Im Abgrund meiner Liebe
finden größte Schmerzen Raum,
in den Welten meiner Seele
liegt das Sternenall, ein Traum"
(cpo S. 88)
"Hier ist das All. Hier ruht im Mutterherzen
der ew`ge Frieden und das Weltgeschick."
(cpo S. 88)
"Mit Allgewalt zum Mutterherzen drängt es
die Kreatur aus Tod und Lebens Müh`n.
Hier darf sie nun, wie sie verkläret worden,
zur Gottesjugend siegreich auferblüh`n."
(cpo S. 89)
Stimmen aus dem All:
"Festlich leuchtets schon am Himmel,
Wunderpforten tun sich auf.
Minneschauer tun sich auf.
Nimmer schließt der Wonnen Lauf."
Es besteht also keinen Zweifel, daß Pfitzner hier einen Kult um eine reife Priesterin betrieb.
Ähnliches findet man etwa in Paul Clauels "Maria Verkündigung" in der Gestalt der Violaine.
Es ist also ein Erwachsenen-Drama
Es geht ja auch nicht vorrangig um das Kind!
Interessant ist hier, daß es in dieser Oper mehr um das Schicksal erwachsener Menschen geht, um Bürgerrechtsfragen wie Mißbrauch, Versklavung, Irreführung, Sozialer Einsatz, helfende Justiz - das befindet sich in der Symbolik des Märchens. Letztendlich sind auch "Kinder" im eigentlichen Sinne Bürger mit Rechten und als solches nicht als "süße Dinger" zu betrachten, sondern als Rechtspersonen mit dem Anspruch, existentiell ernstgenomen zu werden.
Nach dem szenischen Vorspiel der Oper geht es dann damit weiter, dass der junge Frühlingstorwächter in die Welt des Kampfes gelangt und von dort eine gefangene Frau aus den Händen eines Sklavenhalters befreit. Der Einsatz endet für ihn unter Selbstaufgabe tödlich, doch am Ende wird er gerettet durch Wiederauferstehung. Hier verblüfft auch eine weitere Figur der Oper, die neben dem Nachtwunderer zum zweiten Gegner des jungen Paares wird, nämlich der greise Winterwächter aus dem Liebesgarten, der zuvor das Kind der Sternenjungfrau übermäßig verehrte, man lese mal seine Textpassagen im Vorspiel. Er wird am Ende nicht verstehen wollen , dass das junge Paar, das dem Nachtwunderer entkam, in den rettenden Garten will und will Minneleide mit dem Schwert töten. Er wird deswegen von der höheren Allmacht beseitigt:
(cpo S. 87)
"Sie will das Tor durchschreiten; der Winterwächter lässt sein Schwert auf sie niederfallen.
...Die Mauern (des Gartens) steigen. Der Winterwächter versinkt; ... die Scene verwandelt sich in den Liebesgarten."
(die beiden werden nun doch erlöst)
Die Oper ist nun nicht vorrangig ein Kinderstück, sondern es geht um eine dominierende Priesterin, deren Hauptaufgabe ist, ernsthafte Menschen aus den Leiden der Welten zu befreien und dabei die Hilfe von anderen Priestern/innen braucht. so wie s auf S. 58 cpo beschrieben ist:
"dort thronet die Frühlingsmutter, die alle Gnaden gewährt, Ihre Kämpen stürmen die Welten und kündigen ihr sonn`ges Reich und ringen mit Tod und Winter, bis die Erde dem Himmel gleich").
Das ganze ist natürlich etwas stark märchenhaft, aber das sind Mahlers Klagendes Lied und das Lied von der Erde auch.
Pfitzners freundliche Art des Ernstes
Vor über dreißig Jahren wurde ich einmal bei einem Tischgespräch mit der warnenden Aufklärung beglückt, man müsse mich vor der Rose vom Liebesgarten warnen, das sei eine kindernärrische Oper, die einen erwachsenen Menschen zu einem Schwachkopf machen wolle, ich solle mich doch mehr für seriöse Musik bemühen.
Ich erwiderte, daß es in dieser Oper nur nebensächlich bedeutend um Kinder geht, hauptsächlich handelt die Oper von einer großen Priesterin, die vom Schicksal geschlagene Menschen, die nach Erlösung suchen, befreien will. Für mich hat sich das erfüllt.
Pfitzner war ein ernsthafter Mensch, daran gibt es keinen Zweifel, und wer einmal Musik hören will, wie er mit Kindern oder kleinen netten Tieren umgeht, der höre sich nicht nur das Christelflein an, sondern Stücke wie die "Kleine Sinfonie G-Dur op. 44" und das Cellokonzert a-moll op. 52. Hier findet man viele Tierstimmen wie eine sanft lustige Katze, die anmutig erschreckend durch den Garten strolcht, singende kleine Vögel usw.. Gerade im ersten Satz der Sinfonie op. 44 spürt man, wie eine besorgte Mutter sich liebevoll um Kind und Tiere ihres Hauses kümmert. Eines meiner Lieblingsstücke. Das hat nichts mit dem schäbigen Begriff einer "Babysinfonie" zu tun, sondern mit dem Ernst einer Mutter, die ihre Angehörigen liebenswürdig ernst nimmt. Es ist die Art, wie Pfitzner das darstellt.
Ich nannte es oft in Abwandlung eines Wortes eines Pfitzner-Forschers immer
"eine freundliche Art des Ernstes" (statt "eine heitere Art des Ernstes")
Mit Kindern, Tieren, kleinen Leuten und generell jedem im menschenrechtlichen Sinne ernsthaft freundlich umzugehen. Dann darf man auch liebenswürdig sein.
Ich hoffe, JPC druckt diese überlange Rezension ab, denn gerade zu solchen Stücken gibt es eine Reihe verwirrender Ideen. Es wäre schade, wenn diese Oper darunter untergehen würde. Denn der Sinn ist, dass wir gute Musik haben, denn wer will sich gerne mit Keulen und Steinschleudern durch eine moderne Welt bewegen.
Abgesehen davon hat das Team mit Frank Beermann echt Großes geleistet. Vielen Dank für diese ausgewählt geschmackvoll gemachte Aufnahme und erfreulich ist auch der Text von Michael Schwalb, der nach seiner relativ kritischen Kurzmonographie zu Pfitzner hier einen echt freundlichen Text hat folgen lassen. Man kann sich nicht beklagen.